Leipzig gründet Informatikverbund
Studentenzahlen sollen steigen - Mehr Praxisnähe
Von WINFRIED GERTZ
Leipzig - Mit dem Schlagwort Innovationstransfer sind große Hoffnungen verknüpft, auch in der sächsischen Metropole Leipzig. Die Universität hat vor allem die Triebkräfte des Marktes im Auge, die der krisengeschüttelten Region wieder auf die Beine helfen sollen. Wettbewerbsfähigkeit und sichere Arbeitsplätze - in Wirtschaft und Wissenschaft - lauten deshalb auch die hochgesteckten Ziele des jüngst gegründeten Leipziger Informatikverbundes (LIV).
"Wir wollen unsere Studentenzahlen in die Höhe schrauben", erklärt dazu Erhard Rahm. Der aus Kaiserslautern berufene Informatikprofessor ist Direktor des neuen Kooperationsmodells. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Informatikstudenten in Leipzig um 30 Prozent auf nunmehr 500. "Bis 800 Studenten können wir verkraften, ohne das Ausbildungsniveau zu beeinträchtigen", ergänzt Rahm stellvertretend für 14 Kollegen und rund 150 Mitarbeiter. Insgesamt 25 Drittmittelprojekte mit einem Finanzierungsvolumen von gut fünf Millionen Mark wurden schon an Land gezogen.
Für den ostdeutschen Uni- Standort ist es wichtig, sich eine eigenständige Profilierung zu geben. Nur so kann mit attraktiven Hochschulstandorten wie München oder Berlin konkuriert werden. Praxisorientierung heißt die Trumpfkarte, die jetzt im Standortpoker aus dem Ärmel gezogen wird. Schon zu DDR-Zeiten, räumt auch der Wissenschaftsrat freimütig ein, hätte sich das Informatikstudium durch einen hohen Praxisbezug ausgezeichnet. Wie auch in vielen westlichen Staaten, war es für Dozenten ein leichtes, vom Katheder in die Betriebe zu wechseln und die neuen Erkenntnisse wieder in die Universität zurückzutragen.
Nunmehr von ideologischer Verbrämung befreit, soll die wechselseitige Befruchtung von Wirtschaft und Wissenschaft vor allem den Studenten zugute kommen. So wollen Banken, Versicherungen und andere privatwirtschaftliche Firmen möglichst frühzeitig ihre Mitarbeiter in spe kennenlernen und sie mit dem aktuellen Anforderungsprofil vertraut machen. "Wer ohne praktische Erfahrungen von der Uni kommt, ist zu teuer", heißt es einvernehmlich. Doch betreute Praktika und Diplomarbeiten - Erkennungszeichen der herkömmlichen Kooperation mit der Wirtschaft - sind zuwenig, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Nun sitzt die Wirtschaft bereits von Anfang an im universitären Boot.
"Als Student konnte ich in Leipzig eine Menge lernen", sagt Frank Bublys, einer der ersten Absolventen der Informatik mit Schwerpunkt Versicherungswirtschaft. Seit Sommer vergangenen Jahres verdient er sein Geld bei einer Versicherung in Wiesbaden. Daß sich das praxisorientierte Studienangebot gerade in Leipzig etablieren konnte, kommt nicht von ungefähr. "Nach der Wende litt die Informatik an einer schwachen Besetzung", erinnert sich Professor Siegmar Gerber.
Aus der Not entstand die Tugend: Auf der Suche nach Partnern für die überlebensnotwendige Drittmittelbeschaffung kam die Universität schnell mit der Versicherungswirtschaft ins Gespräch. Allerdings machten die Professoren von Anfang an deutlich, daß sie keinerlei Zugeständnisse gegenüber der wissenschaftlichen Ausbildung im Sinn hatten. "Wir müssen Obacht geben, daß die Universität nicht zu einer Betriebsakademie der Wirtschaft umfunktioniert wird", stellt Gerber klar.
Versicherungs-Informatik und Medizin-Informatik heißen nun die neuen Hoffnungsträger in Leipzig. Die neuen Ausbildungsgebiete sollen für Aufbruchsstimmung sorgen und neues Selbstbewußtsein fördern. "Akademiker in informationsverarbeitenden Berufen sind bereichsübergreifend aktiv und müssen konzeptionell-strategisch denken", sagt Rahm. Informatiker sind zunehmend auch in den Entscheidungsprozeß eingebunden. Von der Wirtschaft getragene Lehrveranstaltungen über Projekt- oder Qualitätsmanagement gehören bereits zum Studienalltag.
Copyright: DIE WELT, 1.9.1997
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